Acht Bücher. Acht Themen.

Ausgabe: 2020 | 2
Acht Bücher. Acht Themen.

Acht kurze Buchbesprechungen finden Sie nachfolgend, geschrieben von Stefan Wally, Hans Holzinger, Katharina Kiening und Martin Fladerer. Im Fokus: Bücher von Alice Hasters, Edward Snowden, Kerstin Molzbichler, Ronan Farrow, Malcolm Gladwell, Ute Frevert, Helga Embacher, Bernadette Edtmaier und Alexandra Preitschopf.

Permanent Record

Edward Snowdens Autobiografie fokussiert auf große gesellschaftliche Fragen: Was bedeutet Privatsphäre im 21. Jahrhundert? Wem gehören unsere Daten? Was darf der Staat und was nicht? Snowden erzählt seine Geschichte als Jugendlicher, als Spezialist bei CIA und NSA, bis letztlich als Asylsuchender. Doch diese persönliche Seite tritt zurück hinter die Aufklärung der technischen Möglichkeiten, über die Staaten und Konzerne verfügen und dem Aufruf sich selbst zu schützen. MF

Edward Snowden: Permanent Record. Meine Geschichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019 · 432 S.

Scale

Geoffrey West ist Physiker, der seine Entdeckungen auch auf die soziale Welt anwendet. Entscheidend: Nichts wächst ohne Zufuhr und Verarbeitung von Energie und anderen Ressourcen. Bei Organismen wächst der Bedarf an diesen Ressourcen mit der Größe linear, was aufgrund biologischer Netzwerkeffekte nicht unendlich möglich ist. Wachstum endet bei ihnen irgendwann. Bei Städten und anderen sozioökonomischen Prozessen sei es umgekehrt: Hier reduziert sich der Bedarf pro Einheit mit der Größe. West spricht von „superlinearem Wachstum“. Diese Form des Wachstums ist mit der Form des Wachstums der biologischen Grundlagen nicht vereinbar. Und das führt zur Notwendigkeit radikaler, bremsender Eingriffe. SW

Geoffrey West: Scale. Die universalen Gesetze des Lebens von Organismen, Städten und Unternehmen. C.H. Beck Verlag, München 2019 · 478 S.

Nachhaltiges Design und User Experience

Kerstin Molzbichler zeigt wie durch Einbeziehung von Nutzer­innen benutzerfreundliche und zugleich nachhaltige Produkte entwickelt werden können. Anhand von Beispielen aus der Literatur macht die Ecodesignerin deutlich, dass es bereits früh Ansätze für eine ökologische Produktgestaltung gab. Ihre Umfrage unter den „Professionals“ ergab jedoch, dass die Praxis unbefriedigend ist. Gefordert werden insbesondere neue politische Rahmenbedingungen, die die Transformation wirtschaftlich rentabel machen. Ein Schwerpunkt des Buches, das ein besseres Lektorat verdient hätte, liegt auf den Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung. HH

Kerstin Molzbichler: Nachhaltiges Design und User Experience. Digitale Transformation und die Auswirkung der Gestaltung auf Mensch und Umwelt. oekom Verlag, München 2019; 158 S.

Was weiße Menschen nicht über Rassismus wissen wollen

Persönlich erzählt Alice Hasters über ihre alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland, um sie in einen gesamtgesellschaftlichen und historischen Kontext einzubetten, der leider viel zu selten diskutiert, geschweige denn aufgearbeitet wird, darunter: Die Kolonialzeit und ihre andauernden Folgen, die Situation von Schwarzen während der NS-Zeit, die fortwährende Manifestation von Stereotypen durch rassistische Traditionen, ein einseitiger Schulkanon, mangelnde Repräsentation und Chancen. KK

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus wissen wollen. Aber wissen sollten. hanserblau, München 2019;  223 S.

Antisemitismus in Europa

Helga Embacher, Bernadette Edtmaier und Alexandra Preitschopf beschreiben Antisemitismus im 21. Jahrhundert. Sie erkennen ein globales Phänomen mit weltweit ähnlichen antisemitischen Stereotypen und verweisen zugleich auf die Bedeutung nationaler Besonderheiten. Am Beispiel von Frankreich, Großbritannien und Österreich werden diese Unterschiede vergleichend analysiert. Differenziert wird gezeigt, wie sich die länderspezifische Historie und Erinnerungskultur auf den Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Antizionismus auswirkt. KK

H. Embacher, B. Edtmaier, A. Preitschopf: Antisemitismus in Europa. Fallbeispiel eines globalen Phänomens. Böhlau Verlag, Wien 2019; 338 S.

Durchbruch

Ronan Farrow liefert eine fesselnde Reportage, ein Paradebeispiel für investigativen Journalismus. Im Jahr 2017 enthüllte er im Magazin New Yorker ein weitreichendes und tief ineinander verwobenes Netz an Machtmissbrauch, Einschüchterungen und Zensur, das den Filmproduzenten Harvey Weinstein als Sexualstraftäter schützte. Hier legt er seine Ermittlungen dar, die von politischer wie medialer Seite massiv behindert wurden. Ein persönliches und zugleich gesellschaftlich relevantes Buch. KK

Ronan Farrow: Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019 · 524 S.

Kapitalismus, Märkte und Moral

Ute Frevert lehrt Neuere Geschichte und setzt sich in diesem Buch mit der Bedeutung von Moral für den Kapitalismus und die Märkte auseinander. Moderne Gesellschaften hätten sich von der Vorstellung einer einzigen, alleinherrschenden Moral schrittweise verabschiedet. Die Kommunikation über Moral nehme deswegen keineswegs ab, nur die Ergebnisse seien nicht mehr zwingend konsensfähig. Frevert zeichnet die Geschichte dieser Debatten nach. Moral bleibt für sie kritische Antriebskraft und Korrekturquelle des Kapitalismus, die jenseits der Eigeninteressen diverser Marktteilnehmer situiert sei. SW

Ute Frevert: Kapitalismus, Märkte und Moral. Residenz Verlag, Salzburg 2019; 151 S.

Die Kunst nicht aneinander vorbeizureden

Wir schätzen Personen oftmals falsch ein, weil wir der Illusion der Durchschaubarkeit erliegen, sagt Malcolm Gladwell. Und weil wir uns in einem Wahrheitsmodus befinden: „Wir glauben erst dann, dass jemand lügt, wenn unsere ursprüngliche und automatische Annahme, dass er die Wahrheit sagt, ohne jeden Zweifel widerlegt ist.“ (S. 78) Dazu liefert er einige Fallbeispiele aus den Bereichen Außenpolitik, Spionage, sexueller Missbrauch, Wirtschaftskriminalität, Polizeigewalt. KK

Malcolm Gladwell: Die Kunst nicht aneinander vorbeizureden. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019; 383 S.